An meinem ersten Tag als Austauschschüler auf einem deutschen Gymnasium bin ich sprachlos geworden. Während der Hofpause, strömten Kinder aus der benachbarten Grundschule und tummelten sich plötzlich um einen grauen Klotz auf dem Spielplatz. Eine Tischtennisplatte (aus Beton?). Sie hüpften. Sie schrien. Sie waren völlig außer sich. Und als ich näher kam und sah was die da machten, öffnete sich eine große Leere in meiner Kindheit. Mir war klar: Ich hatte was verpasst.
An dem Tag lernte ich, dass wir Amis einen Riesenfehler machen. Jedes Jahr zu Weihnachten kriegen unzählige US-Amerikanische Kinder Tischtennisplatten zum Weihnachtsfest. Nach nur ein paar Monaten mäßigem Gebrauch, werden sie dann zu Basteltischen – oder sogar Wäschetischen – umfunktioniert. Damals glaubten wir – und glauben Amis immer noch – dass man auf Tischtennisplatten höchstens zu viert spielen kann. Beim Chillen nach der Schule ist das oft zu wenig und nach nur einige Wochen wird uns das gängige eins gegen eins oder zwei gegen zwei einfach langweilig.
Wir wissen nicht dass es eine andere Welt gibt.
An meinem ersten Tag als Austauschschüler habe ich gestaunt. An dem Tag habe ich Rundlauf Tischtennis kennengelernt. Ein Kind gab an und rutschte schnell nach rechts. Auf der anderen Seite schlug der nächste Gegner zurück und rutschte auch nach rechts. Dann der nächste Gegner (oder Gegnerin). Dann der/die Nächste usw. Es ging so, bis jemand versagt hat. Und dann fing es, ohne den Versager, nochmal an. Es ging so bis nur noch zwei Grundschüler im Spiel waren. Eine Art Meisterschaft. Aber kurz nach dem Endspiel, als ein Meister gekrönt wurde, ging das ganze wieder von vorne los und der (gekrönte) Meister war schnell vergessen.
Krach. Hoffnung. Ausscheiden. Es erinnerte mich an Thunderdome – We don’t need another hero! – oder mindestens an Dodgeball. Aber ohne dass jemand eine blutige Nase kriegte. Und jeder durfte mal ran, was mir auch imponierte. Jeder!
Als ich das gesehen habe, wollte ich die Grundschule wiederholen. Und zwar in Deutschland.
„Hast du das gesehen?” sagte ich danach im Leistungskurs Bio. Ich erzählte lebhaft von dem, was ich gerade erlebt hatte.
„Meinst du Chinesisch?” fragte Bernd Müller, unbeeindruckt. „Haben wir auch in der Grundschule gespielt.“
Bernd schien mir sehr abgehärtet zu sein. Mein Leben hatte sich gerade geändert und Bernd wollte nur Alkoholketten lernen. Ich konzentrierte mich lieber auf die Regeln des Rundlauftischtennis. Die durfte ich nie vergessen.
Als ich nach Berlin im Jahr 2000 zog, durfte ich endlich meine langersehnte chinesische Fantasie ausleben – Rundlauf Tischtennis spielte ich leidenschaftlich bei Ping Pong Country Veranstaltungen sowie in Dr. Pong. Und ich bin nicht der einzige der sich in Chinesisch (oder Mäxle) verliebt hatte: Es gibt mittlerweile auch Tischtenniskneipen in Amerika.
Und viel weniger Tischtennisplatten dienen jetzt als Basteltische. Oder wenn doch, dann nur vorübergehend.
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